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Vor über 50 Jahren möglich: Gämsenfütterung vor Staatsgrenze

Text von Wolfgang Kunz

Mittenwald – Im Wohnzimmerregal stehen viele Fotoalben. Manchmal wird darin geblättert und in alten Erinnerungen gekramt. So wie es kürzlich Brigitte Reiser, die Ehefrau des pensionierten Berufsjägers Hans Reiser getan hat. „Dabei bin ich auf Bilder aus den 1960’er Jahren von einer Gamsfütterung am Fuße des Brunnsteins auf einer Wiese hinter dem ehemaligen Deutschen Zollamt gestoßen. Damals war Berufsjäger Herbert Rasper für das in der verpachteten Staatsjagd „Karwendel Süd“ gelegene Gebiet zwischen Arnspitze und Karwendel verantwortlich. Sein Nachfolger wurde 1980 Berufsjäger Hans Reiser. „In dieser Zeit waren Gämsen im Winter in Oberen Isartal für Einheimische und Urlauber noch sichtbar und hatten einen hohen Stellenwert“, betont Reiser, „die Wildbestände waren trotz natürlicher Winterverluste hoch und es gab keine großen Vegetationsschäden“. Als Beispiel nennt Reiser den Brand im Jahr 1947 an der Arnspitze. „Obwohl dabei fast der ganze Altholzbestand vernichtet wurde“, so der 66-Jährige, „hat sich trotz hoher Wildbestände der Wald relativ schnell verjüngt und erholt“.
Der damalige Auslöser für die Fütterung der Gämsen durch Rasper war eine Staublawine, die am Brunnstein oberhalb der Marchklamm ausgelöst wurde und 60 Gämsen verschüttet hat. Mit einer „Ablenkfütterung“, so die Idee von Rasper, sollte das Wild deshalb aus den Lawinengefährdeten Gebieten ins Tal gelockt werden. „Mein Vorgänger hat zwischen 1961 und 1972 immer von Januar bis März auf der Wiese täglich Heuballen ausgelegt“, erinnert sich Reiser, „die Gämsen haben den Platz ganz schnell angenommen, obwohl sie eine natürliche Winterstrategie haben“. Der Hunger muss damals groß gewesen sein, denn alte Bilder dokumentieren, dass die Tiere weder vor dem Jäger noch seinen zwei Jagdhunden Angst hatten.
Ein weiterer Grund für eine Talfütterung geht auf ein Ereignis Mitte der 1960’er Jahre zurück. Da ging in der Hasellähne eine Lawine nieder und Rasper musste danach rund 70 tote Gämsen ausgraben. Hier erinnert Reiser an den Grundgedanken seines Berufes. „Es ist des Jäger‘s Ehrenschild, das er hegt und pflegt sein Wild. Weidmännisch jagt wie es sich gehört und den Schöpfer im Geschöpfe ehrt“. Dass er sich daran auch immer selbst gehalten hat, verdeutlich Ehefrau Brigitte. „2008 wurde ein mutterloses Gamskitz von Passanten auf der Straße vor der Schießstätte am Burgberg aufgelesen und von der Polizei zu uns gebracht. Wir haben es aufgezogen und mein Mann hat mit dem Kitz sogar den Gemeindekindergarten besucht. Zudem war sein Auftritt mit dem zahmen Kitz ie Attraktion der 1. Gamsbart-Olympiade“.
Beim Blättern im Fotoalbum blickt ihr Mann auf seine Dienstzeit zurück. „Früher war der Lebensraum für die Tiere ruhiger und dank ihrer natürlichen Fettreserven war auch eine stressfreie Überwinterung möglich. Deshalb bräuchten wir wieder natürliche und ruhige Überwinterungsgebiete, weil die ständigen Störungen dem Stoffwechsel der Tiere ungemein schaden“. Von den Bildern der Gamsfütterung zeigte sich auch Tessy Lödermann als Vorsitzende des Tierschutzvereins Garmisch-Partenkirchen begeistert. „Das ist sicher vielen Mittenwaldern noch im Gedächtnis geblieben. Ein solches Vorgehen wäre heute undenkbar. Deshalb ist Reiser für mich auch ein interessanter Zeitzeuge“.
Sogar der fünfmal mit dem Deutschen Filmpreis geehrte und berühmte Tierfilmer Prof. Heinz Sielmann(1917 bis 2006)hatte sich seinerzeit für die Gämsen in Mittenwald interessiert. „Er ist auf diese besondere Art der Tierfütterung aufmerksam geworden“, erinnert sich Reiser, „er war persönlich vor Ort und hat mit einem Fernsehbeitrag unsere Arbeit als Heger und Pfleger dokumentiert“.

Keine Angst vor Jäger Herbert Rasper und seinen zwei Hunden haben die Gämsen.
Berufsjäger Hans Reiser mit dem zahmen Gamskitz.

Fotos: Privat/Repro

Hans Reiser blättert in seinen Fotoalben.
Hans Reiser blättert in seinen Fotoalben.

Fotos: Kunz

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